Der Soundtrack ist das Wichtigste.
Wir haben geniale Autoren mit überragenden Drehbüchern und Skripten, wir haben großartige Locations, in denen stimmungsvolle Bilder entstehen, wir haben gewitzte Regisseure, die sich immer etwas Neues einfallen lassen. Zahlreiche Akteure und Statisten bereichern das Set und geben wirklich alles für ein gelungenes Endergebnis. Wir sind nicht festgefahren, wir sind grundsätzlich offen für Neues, wenn es uns plausibel erscheint. Nehmen wir an, der Film käme wirklich zustande – dann geht es zum Schluss um die Vertonung des Ganzen – Da wenden wir den alten ZDF-Trick an: Wir rufen ein paar Leute an, die das schon immer gemacht haben. Die wir kennen. Und die das schon gut machen werden. Wir haben zwar gehört, dass sich ein paar Zuschauer vereinzelt beschwert haben, dass die Musik in unseren Filmen sich seit 30 Jahren nicht verändert hat, das ist aber vermutlich das übliche destruktive Gerede. Wer sollte es auch sonst machen? Wir kennen eigentlich keinen sonst und es interessiert uns auch nicht.
Weil wir wis
sen, dass auch ein Soundtrack wichtig ist, machen wir das Ganze wirklich schick auf. Der Titelsong des neuen Films ist „Ins Wasser Fällt Ein Schwein“, richtig groovy neu eingesungen von Clemens Bittlinger, kopfwippend begleitet und produziert von Dieter Falk. Dieters Söhne haben gesagt, der Song sei scheiße, aber Dieter hat nur mit den Achseln gezuckt und weiter am Arrangement geschraubt.
Der Film läuft ganz gut an, es sind viele Leute da. Die Altersstruktur übersieht man ja schnell einmal, auf jeden Fall war es voll bei den wichtigen Premieren – was wollen wir mehr? In ein paar Jahrzehnten können dann ja neue Regisseure ihre Filme drehen. Wir machen das so, wie es für uns funktioniert. Das soll uns doch allen reichen.
Ein bekannter deutscher Musikpädagogik-Professor hat uns einmal in einer Vorlesung gesagt, der Unterschied zwischen Deutschland und den USA sei, dass die Professoren in den USA ihre Studenten respektierten und ihnen auf Augenhöhe begegneten. Das sei in Deutschland nicht so. Hier werde auf Anfang Zwanzigjährige mit einer unangenehm mütterlichen oder väterlichen Art geblickt und auch dementsprechend mit ihnen umgegangen, etwa wie „Nein nein, so machen wir das nicht. Ich zeig Ihnen das mal“, „Ja, dann hören Sie doch zu, so geht das“ oder „Sie sollen hier nicht irgendetwas Neues machen, sondern sich auf Ihr Studium konzentrieren“ Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel und eigentlich ist uns ja auch egal, was Professoren tun. Wäre da nicht die Parallele zu uns selbst. Je älter wir werden, desto mehr Respekt verlieren wir vor der Jugend. Wir haben das schließlich alles selbst durchlebt und es gibt eintausend Gründe, warum sie uns nachfolgen und keinen einzigen, warum wir ihnen aufmerksam zuhören sollten.
Mit 16 wusste ich, was in ist. Ich wusste es einfach. Keine Ahnung, warum es so war und keine Ahnung, wer das mit mir gemacht hat, aber ich war mittendrin und kannte die Wege zu dem, was sich neu und richtig anfühlte. Damals begann Stefan Raab mit einer Sendung auf VIVA und veräppelte Omas auf der Straße oder bastelte Moses-Pelham-Köpfe. Wir hörten The Prodigy, East 17 und taten so, als würden wir Take That nicht gut finden. Dabei kannten nicht nur Mädels, sondern auch die Jungs jeden Song.
Das könnte heißen, dass eine 16jährige, die 2014 lebt, auch weiß, was 2014 gelebt und zelebriert wird und was nicht. Natürlich sind Menschen verschieden, aber 1985 hatten seltsamerweise alle Menschen absolut peinliche Frisuren, das vereint sie doch aus heutiger Sicht. Ich freue mich schon auf später und die völlig geschockten Kommentare unserer Enkel über unseren Look heute.
Praktisch bedeutet das für mich, alle Songwriter und Musiker, mit denen ich für POPKANTOR arbeite und auftrete: Wir schreiben und produzieren Songs, die ihnen nicht völlig fremd vorkommen, wir versuchen Melodien zu finden, die eine musikalische Sprache von 2014 sprechen und Texte zu schreiben, für die man sich nicht fremdschämen muss (beste Fremdschämbeispiele sind viele Worship-Songs mit deutschen Übersetzungen) Wir spielen außerdem aktuelle Popsongs, die die Jugendlichen kennen und lieben. „Krieger des Lichts“ von Silbermond hat mehr Interpretationsspielraum für den modernen Christen als so manches „Neue GeiLi“ (Neues geistliches Lied), auch wenn die Silbermond-Sängerin Steffi das aus meinem Mund und in diesem kirchlichen Kontext vielleicht gar nicht so gern hört.
„Kirche muss nicht immer das machen, was IN ist“ – ein schöner vielzitierter Satz, aber irgendwie Quatsch. Martin Luther hat damals gut singbare Lieder für das Volk geschrieben verbreitet, das war damals „da hottest shit“, wie es ein amerikanischer Rapper nennen würde, das heißeste Zeug für die Leute, die sich damit identifizieren und es überall singen konnten. Wir alle brauchen etwas, das Sehnsüchte ausdrückt und Mut zum Träumen gibt. Wir wollen im Gottesdienst Lieder singen können, aber es ist nicht egal, was wir singen und es ist auch überhaupt nicht egal, aus welcher Epoche das kommt. Jedes Lied hat einen Effekt auf uns, jeder Bachchoral und jeder Hausfrauen-Gospel, jedes „Neue“ Geistliche Lied und jeder Popsong. Bei zahlreichen Befragungen und nicht repräsentativen Umfragen von uns kam heraus, dass nur die Vielfalt und der Mix aus all diesen Stilen ein wirklich lebendiges Gemeindeleben ermöglicht. Die Jugend erträgt viel mehr, als man denkt. Sie ertragen es nur nicht, wenn sie ausgeblendet und musikalisch ignoriert wird.
Das führt mich zu einem weiteren wichtigen Punkt: Qualität. Wir haben de facto kein effektives Qualitäts-Management in der Kirchenmusik. Wenn etwas qualitativ nicht gut ist, gibt es KirchenmusikerInnen, PastorInnen und den Kirchenvorstand, die alle gleichermaßen hilflos agieren und sich fragen: „Besser schlecht als gar nicht…?“
Da sind wir Pop-Musiker besonders gebrannte Kinder. In dem Moment, wo ein pickliger Teenager mit einem Jahr Gitarrenunterricht die Egitarre ergreift und mit seiner Jugendband losrockt, erkennt das jeder als eine Band.
Sobald wir mit Profis einen Gottesdienst begleiten oder ein abendfüllendes Konzert spielen, erkennt das jeder als eine ziemlich gute Band.
In Wahrheit glaube ich jedoch, dass den Leuten der Unterschied überhaupt nicht so klar ist wie beispielsweise im klassischen Bereich. Wenn vier 15jährige Streicher ein klassisches Stück vorspielen, nimmt man das als Laien-Quartett wohlwollend hin und zahlt gerne ein paar Tage später 25 Euro für das professionelle Streichquartett im Konzert. Dass Profi-Streicher genau wie professionelle Pop-Gitarristen oder Drummer jahrelang studieren, können sich viele oft gar nicht vorstellen.
Ich werbe stark dafür, Jugendbands in den Gemeinden zu gründen, aber ebenso warne ich davor, sie zu stark zu vereinnahmen. Wenn sie sich trennen, nach einem Monat oder einem Jahr, kommen eben die nächsten dran, die sich ausprobieren können. So sind Teenager und so ist es ganz normal bzw. sollte es ganz normal in jeder (!) Gemeinde sein. Ich halte auch sehr viel von offenen Jam-Sessions, wo Bass, Gitarre, Piano und Drums einfach dastehen und jeder Musiker, Altrocker, Jazzfreund oder Teenager einfach hingeht und losspielt. Der Rahmen und Ort ist vollkommen offen zu gestalten, aber die Rahmenbedingungen, ob für Teenager oder andere Musikbegeisterte, müssen wir einfach schaffen und dazu gehört Bandequipment. Die 3000-4000 Euro für Gitarre, Bass, Drums, Keys, Mikros und eine mobile Gesangsanlage sind in Wahrheit Peanuts verglichen mit den Kosten der letzten Orgelrenovierung. Bei Interesse schicken wir gern die Equipment-Liste für unsere aktuellen Konfi-Bandcoachings im Kirchenkreis Laatzen-Springe zu, deren Ziel ist, dass bald jeder Konfi-Jahrgang seine eigene Band macht und sie nach der Konfizeit nur weitermachen dürfen, wenn sie unbedingt wollen. Die Jugendlichen lernen da sehr einfache Titel in einer abgewandelten Form des 1st Class Rock-Konzepts von Michael Fromm und das ist definitv nicht nur etwas für höhere Töchter.
Alles, was man für den Start braucht, ist ein fester Kümmerer für die Band, also ein Teamer, der nicht Musiker sein muss, aber musikbegeistert sein sollte. Dazu gibt es Initial-Coachings von einem Profi (auch möglich aus örtlichen Musikschulen), der über die Monate immer einmal wieder kommt und Input gibt.
Alle Gemeinden, die eine effektive Bandarbeit ohne große Aufgeregtheiten durchziehen, Popmusik in Gemeinde-Alltag integrieren und als völlig normal betrachten, vergrößern auch ihre Gottesdienst-Besucherzahlen und geben ein wichtiges Statement in Richtung Jugend, nämlich nicht dumm herumzureden, sondern etwas unmittelbar für sie zu tun. Sie nicht mehr als den großen Klotz am überarbeiteten Bein zu betrachten, sondern sie als unser aller gewitzte, angesagte und ideenreiche Zukunft zu erkennen.
Es geht hierbei um viel mehr als um uns selbst. Es ist also höchste Zeit, über unseren eigenen, manchmal etwas eingeschränkten Schatten zu springen und zu sagen: „Schön, dass Du da bist. Schön, dass Du mit Dir selbst beschäftigt bist. Schön, dass Du Musik hörst, die ich nicht verstehe. Schön, wenn Du sie mir erklärst. Schön, dass ich Dich aus tiefstem Herzen respektiere und mich mit jedem Deiner Worte an mich selbst erinnert fühle. Schön, dass Du mir zeigst, wie moderne Kirche Deiner Meinung nach geht. Und wenn Du keine konstruktiven Ideen hast, nicht schlimm – aber lenke bitte meine Ideen in die richtigen Bahnen.“
Ein Jugendlicher hört Musik und im Grunde ist es doch völlig egal, welche. Er hat sich dazu entschieden, sie gut zu finden und er hat sich auch einmal zu oft dazu entschieden, Glauben und Kirche nicht gut zu finden. Also wird es Zeit, dass wir die Statements der Jugend respektvoll hören und unsere mehr als klugen, am besten genialen Schlüsse daraus ziehen. Dann wird der Glauben immer ein guter und nicht wegzudenkender Teil ihres Lebens sein. Eines ist nämlich klar: Die Frisuren von uns allen werden sich mit den Jahrzehnten ändern.
Til von Dombois
Eine gekürzte Fassung dieses Artikels ist in der Evangelischen Zeitung erschienen. Sie finden diesen und andere Artikel zum Themenschwerpunkt Jugend auf http://www.evangelische-zeitung-niedersachsen.de/ez-online/thema_der_woche/27_kirche_und_jugend